Virtuelles Objekt des Monats

Die Insel Felsenburg in 3D

Ein Objekt, das die Perspektive erweitert

Ann-Carolyn Hartwig

November 2023

Entstehungsgeschichte – Was ist die Insel Felsenburg?

Die Insel Felsenburg ist ein Roman von Johann Gottfried Schnabel und erscheint von 1731 bis 1743 in vier Bänden unter dem Titel Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Der Roman, Elemente der Robinsonade und Utopie enthaltend, schildert die Entdeckung und Gründung eines paradiesischen Staates auf der Insel Felsenburg und erfreut sich im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit. Dem Titel entsprechend erzählen die schiffbrüchigen Inselbewohner*innen ihre Lebensgeschichten, also die wunderlichen Fata. Interessant ist der Roman allerdings nicht nur aufgrund seiner Erzählstruktur, sondern v.a. weil ihm eine Karte der Insel Felsenburg beigefügt ist. Wenngleich der Text nur an einer einzigen Stelle auf sie Bezug nimmt, kann der Karte in ihrer Funktion, den Schauplatz des Romans abzubilden, ein ikonischer Status zugeschrieben werden.

Johann Gottfried Schnabel: Insel Felsenburg - Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Nordhausen 1731.

 

Kompetenzen – Was kann das 3D-Modell der Insel Felsenburg?

Sowohl der Text als auch die Karte erzeugen und gestalten den zentralen Handlungsraum des Romans: die Insel Felsenburg. Für die Erstellung eines 3D-Modells sind Karte und Text als Daten dieser Welt, also der Insel Felsenburg, zu verstehen. Nicht die Insel selbst, sondern die Daten und das Wissen über sie werden visualisiert (Krämer 2018: 20). Der Text liefert die Daten sukzessiv: Wort für Wort schildert er die Entwicklung und, gebunden an die Perspektive der Figuren, das Erkunden und Entdecken der Insel. Für die Figuren, aber auch für die Leser*innen gewinnt der Raum in der Phantasie an Gestalt und wird imaginativ auch in seiner Dreidimensionalität zugänglich. Der Text schlägt also einen von vielen möglichen Erzählwegen ein.

Da es dem Erzähler unmöglich ist, alles ausführlich zu beschreiben, fügt er seiner Erzählung eine Karte bei, um den Leser*innen eine bessere Vorstellung der gesamten Landschaft zu geben. Das zeitliche Nacheinander des Textes wird mit der Karte in ein simultanes Nebeneinander übersetzt (Krämer 2018: 23f.). Die Karte stellt zwar eine Übersicht der gesamten Insel dar, bildet in ihrer Zweidimensionalität die Insel als Momentaufnahme allerdings nur zu einem gewissen Zeitpunkt ab. Eine bestimmte Lesart oder Erzählung gibt sie nicht vor, sondern generiert als Matrix eine Vielzahl virtueller oder vorstellbarer Möglichkeiten, sich auf der und über die Insel zu bewegen (Lestringant 2012: 33).

Das 3D-Modell transformiert das Vorstellbare aus Text und Karte in etwas Vorgestelltes und ermöglicht neue Perspektiven und Wahrnehmungen: Ich kann die Insel Felsenburg von außen betrachten oder drehen und dabei die als Außenwände fungierenden Felsenklippen sehen. Wird das 3D-Modell in eine VR-Anwendung eingebaut, kann ich – jenseits der eigenen Phantasie – selbst auf dem höchstenPunkt der Insel stehen und diese überblicken. Die Höhe der Berge, die Tiefe der Schluchten sowie die Enge und Vielzahl der Buchten treten in Erscheinung und vermitteln eine räumliche Atmosphäre der Insel. Details wie die Wachthäuser, von denen der Text berichtet, die auf der Karte jedoch kaum sichtbar sind, fallen auf.

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Insel Felsenburg in 3D | Video

Erkenntnisse – Was zeigt das 3D-Modell der Insel Felsenburg?

Ausgehend von den Daten aus Karte und Text, liefert das 3D-Modell weitere Informationen über die Insel Felsenburg. Dabei wurde der Fokus während der Entwicklung v.a. darauf gelenkt, Karte und Text in ihrer medientechnischen Interaktion ernst zu nehmen und sie nicht gegeneinander auszuspielen.

Was dieses Zusammenspiel für die Umsetzung des 3D-Modells heißt, verdeutlicht bspw. die Darstellung der Alberts-Burg als höchster Punkt der Insel. Die Karte zeigt, dass die Burg das Zentrum der Insel ausmacht und dazu erhöht auf einem Berg liegt. Der Text liefert die Information, dass die Insel von diesem Ort gänzlich zu überblicken ist. Für diejenigen, die mit dem Schiff auf der Insel ankommen, offenbart sie sich durch die Felsenklippen aber nicht als Insel, sondern als kahler Fels. Die Burg darf, von außen betrachtet, also nicht zu sehen sein, muss für eine andere Perspektive jedoch als höchster Punkt einen Blick über die Insel ermöglichen. Diese Daten zusammenführend, generiert das 3D-Modell neues Wissen über die Insel Felsenburg und lässt es zu, die unterschiedlichen Perspektiven auf und von der Insel einzunehmen. Die Erstellung des 3D-Modells mithilfe der Daten ausT ext und Karte eröffnet und visualisiert eine weitere Ebene des Romans, die virtuell bereits angelegt ist.

Als eines unter vielen möglichen Umsetzungen zeigt das 3D-Modell, dass es gewinnbringend und notwendig ist, Text und Karte in ihrer je eigenen Medialität und Materialität gleichwertig zu betrachten. Text, Karte und 3D-Modell ermöglichen als Aktualisierungen verschiedene Sichtweisen und erzeugen Erkenntnisse über die Insel Felsenburg, die im Hintergrund vielleicht mehr ist als eine fiktive Welt: Die Auseinandersetzung mit dem 3D-Modell lenkt die Forschungsperspektive auf die Frage, ob das Referenzobjekt solcher Transformationsprozesse – auch für den Roman des 18. Jahrhunderts – ein virtuelles sein könnte.

3D-Modell: © SFB 1567 | Jiha Jeon

 

Quellen

Krämer, Sybille (2018): „‚Kartographischer Impuls‘ und ‚operative Bildlichkeit‘. Eine Reflexion über Karten und die Bedeutung räumlicher Orientierung beim Erkennen“. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 12, Nr. 1, S. 19–31.

Lestringant, Frank (2012): Die Erfindung des Raums. Kartographie, Fiktion und Alterität in der Literatur der Renaissance. Erfurter Mercator-Vorlesungen. Hg. v. Jörg Dünne. Bielefeld: transcript.

Schnabel, Johann Gottfried ([1734–1744] 1997): Insel Felsenburg. Wunderliche Fata einiger Seefahrer Teil I-IV. Ausgabe in drei Bänden. Mit einem Nachwort von Günter Dammann. Textredaktion von Marcus Czerwionka unter Mitarbeit von Robert Wohlleben. Frankfurt am Main: Zweitausendeins.

Schnabel, Johann Gottfried (1731): Insel Felsenburg - Wunderliche Fata einiger Seefahrer. Nordhausen. 

WeiterführendeLiteratur

Dünne, Jörg(2011): Die kartographische Imagination. Erinnern, Erzählen und Fingieren inder Frühen Neuzeit. München: Wilhelm Fink.

Stockhammer, Robert (2007): Kartierung der Erde. Macht und Lust inKarten und Literatur. München: Wilhelm Fink.

Das Virtuelle Objekt des Monats

Ab April 2023 stellen wir jeden Monat ein „Virtuelles Objekt des Monats“ (VOM) auf der Website des Sonderforschungsbereichs 1567 „Virtuelle Lebenswelten“ vor. Die präsentierten Objekte entstammen der Forschung in den Teilprojekten. Im Zusammenspiel von Text und Animation, desktop- oder smartphonebasierter Augmentierung oder anderer grafischer Aufbereitungen eröffnen wir Einblicke in die verschiedenen Forschungsthemen und den Arbeitsalltag des SFB. Das VOM macht unsere Wissensproduktion transparent. Zugleich wollen wir hier mit den Möglichkeiten und Grenzen der Wissensvermittlung in und durch Virtualität und Visualität experimentieren.

Das „Virtuelle Objektdes Monats“ ist mehr als ein populärwissenschaftlicher Text und mehr als ein illustrierendes Bild. Die Autor*innen des jeweiligen VOM präsentieren kurz einen Gegenstand ihrer Forschung um daran ein Argument scharfzustellen. Dabei werden die Objekte auf ihren Mehrwert hin befragt, den sie in dem jeweiligen Forschungssetting preisgeben. Mit dem Text skizzieren unsere Wissenschaftler*innen das Bemerkenswerte, das Eigentümliche oder auch das Einzigartige, welches das jeweilige Objekt zeigt. Sie machen so die Forschung des SFB in einem kurzweiligen Schlaglicht sichtbar. Die zum VOM gehörende Visualisierung ist eine weitere Transformation des Forschungsgegenstands, die das Argument noch einmal auf eine andere Art und Weise zugänglich macht.