Wie ein Objekt Welten übersetzt
Florian Sprenger
Entstehungsgeschichte – Was ist der TMP36?
Im TMP36, der zur Standardausstattung eines Arduino-Starter-Kits für einführende Programmier- und Hardwareübungen gehört, befindet sich ein Metallstreifen aus Platin. Dieses Metall ist über das linke und das rechte Bein des Sensors in den Schaltkreis des Arduino-Microcontrollers eingefügt. Es hat die Eigenschaft, dass sich die Atome in diesem Metall abhängig von der Umgebungstemperatur zwischen -55 und +150 Grad Celsius mehr oder weniger stark bewegen und sich dadurch der Widerstand des Sensorstreifens verändert. Die daraus resultierende Spannung zwischen 0 und 5 Volt wiederum wird durch das dritte Bein des Sensors an den analogen Eingangsport des Arduino übertragen. Diese Spannung wiederum wird vom AD-Wandler (Analog-Digital-Wandler) des Arduino mit der Funktion „analogRead()“ in Werte zwischen 0 und 1023 gemappt. Der AD-Wandler verwandelt also die analoge Spannung, die vom Sensor kommt, in digitale Werte. Die Spannung liegt nicht als Zahl oder digitaler Wert vor, sondern wird innerhalb des Microcontrollers, an den sie durch eine Kabelverbindung übertragen wird, in 1024 Werte differenziert. Diese 1024 Werte, die Spannungsdifferenzen bezeichnen, müssen dann per Codebefehl interpretiert und in eineTemperaturangabe umgerechnet werden – denn weder von Temperaturen noch von Spannungen weiß der Computer etwas.
Kompetenzen – Was kann der TMP36?
Das Kontinuum der Temperatur wird in ein Kontinuum der Spannung verwandelt und dieses dann in 1024 diskrete Werte übersetzt. Das nicht-zählbare Kontinuum wird also zählbar gemacht. Diese Werte können dann in einer dritten Übersetzung in Grad Celsius rückübersetzt werden. Wir haben es somit mit drei Übersetzungsschritten zu tun: erstens die Übersetzung von Raumtemperatur über die Atome des Platinstreifens in Spannung, zweitens die Übersetzung dieser Spannung in diskrete Werte zwischen 0 und 1023, und drittens die Übersetzung dieser Werte in die Celsius-Skala, wofür wiederum ein Ausgangswert, die sogenannte Baseline notwendig ist.
Operativ beginnt die Transformationskette stets mit einem Basiswert, von dem dann Abweichungen gemessen werden. Dieser Basiswert (baseline) muss vorab festgelegt werden – so auch bei diesem Sensor. Bei meinem ersten Versuch mit einer Baseline von 20 Grad Raumtemperatur gab der Sensor viel zu hohe Werte aus. Ich musste erst anhand eines analogen Raumthermometers die korrekte Temperatur als Referenzwert eingeben. Um die Werte zu interpretieren, brauchte ich im Fall dieses Sensors also eine Kontrollinstanz.
Jeder Übersetzungsschritt ist entsprechend auf eine Vermittlungsebene angewiesen, die Input und Output einerseits vergleichbar macht und andererseits auf genormte Werte bezieht, indem der Sensor manuell kalibriert wird. Jeder Übersetzungsschritt umfasst eine Interpretation, die nicht zuletzt den Übergang von analog zu digital ermöglicht. Ich muss dem Arduino beibringen, was er wie lesen soll.
Erkenntnisse – Was zeigt der TMP36?
Sensoren sind Medien der Welt(en)erzeugung. Aber wie kommt die Welt in den Sensor? Und welche Welt kommt in den Sensor? Welche Übersetzungen und Kalibrierungen sind dafür nötig? Und was passiert dabei mit der Welt? Wenn wir, wie oben gezeigt, den Übersetzungen folgen, die auf diesem Weg nötig sind, wird deutlich, dass Sensoren keine neutralen Informationslieferanten aus der Außenwelt sind, sondern ihre eigene Welt hervorbringen. Von Neutralität ist bei der Arbeit mit ihnen nicht auszugehen, weil Experimentator*innen ständig damit beschäftigt sind, den Sensoren beizubringen, wie sie die Welt konstruieren und übersetzen sollen. Diese Erfahrung können Forschende zumindest bei dem praktischen Versuch im Virtual Humanities Lab machen, wenn sie einenTemperatursensor dazu bewegen wollen etwas zu messen.
Im praktischen Umgang mit Sensoren im medienwissenschaftlichen Labor zeigt sich, dass Sensoren nie einfach Zugang zur Welt schaffen, sondern es eine ganze Reihe von Vermittlungsschritten braucht, um aus einem physikalischen Ereignis eine digitale Information zu machen, die dann z.B. als ein Temperaturwert ausgelesen werden kann. Sensoren geben also nicht einfach die Welt wieder, wie sie ist, sondern müssen kalibriert und programmiert, Messwerte selektiert, weiterverarbeitet und repräsentiert werden. Ebenso ist die durch Sensoren erzeugte Welt nie neutral, sondern eine vermittelte und vielfach übersetzte Welt.
Quellen
Abb. 1: Adruino-Microcontroller mit MP36 Temperatursensor . Foto: Florian Sprenger (2023), Sensor: Online unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Temperature_Sensor_%28TMP36%29.jpg (letzter Zugriff: 01.07.2023).
Abb. 2: Code sketch_may08b. Screenshot: Florian Sprenger (2023).
Abb. 3: Sensordaten – Spannung – Umrechnung/Grad. Screenshot aus Video: Florian Sprenger (2023).
Weiterführende Literatur
Thielmann, Tristan (2019): Sensormedien. Eine medien-und praxistheoretische Annäherung. In: Media of Cooperation Working Paper Series 9. Online verfügbarunter https://dspace.ub.uni-siegen.de/bitstream/ubsi/1492/2/Thielmann_Sensormedien_WPS_09.pdf.
Sievert, Johannes (2022): Die Welt der Natur und diedigitale Datenwelt. In: Navigationen 22 (1), S. 257–259.
Ab April 2023 stellen wir jeden Monat ein „Virtuelles Objekt des Monats“ (VOM) auf der Website des Sonderforschungsbereichs 1567 „Virtuelle Lebenswelten“ vor. Die präsentierten Objekte entstammen der Forschung in den Teilprojekten. Im Zusammenspiel von Text und Animation, desktop- oder smartphonebasierter Augmentierung oder anderer grafischer Aufbereitungen eröffnen wir Einblicke in die verschiedenen Forschungsthemen und den Arbeitsalltag des SFB. Das VOM macht unsere Wissensproduktion transparent. Zugleich wollen wir hier mit den Möglichkeiten und Grenzen der Wissensvermittlung in und durch Virtualität und Visualität experimentieren.
Das „Virtuelle Objekt des Monats“ ist mehr als ein populärwissenschaftlicher Text und mehr als ein illustrierendes Bild. Die Autor:innen des jeweiligen VOM präsentieren kurz einen Gegenstand ihrer Forschung um daran ein Argument scharfzustellen. Dabei werden die Objekte auf ihren Mehrwert hin befragt, den sie in dem jeweiligen Forschungssetting preisgeben. Mit dem Text skizzieren unsere Wissenschaftler:innen das Bemerkenswerte, das Eigentümliche oder auch das Einzigartige, welches das jeweilige Objekt zeigt. Sie machen so die Forschung des SFB in einem kurzweiligen Schlaglicht sichtbar. Die zum VOM gehörende Visualisierung ist eine weitere Transformation des Forschungsgegenstands, die das Argument noch einmal auf eine andere Art und Weise zugänglich macht.