Virtuelles Objekt des Monats

Material Speculation – King Uthal.zip

Wenn ein Download zur Ausstellung wird

Manischa Eichwalder

August 2023

Entstehungsgeschichte – Was ist Material Speculation – King Uthal.zip

Morehshin Allahyaris King Uthal ist Teil eines digitalen Recherche- und Rekonstruktionsprojekts, in dem sich die Künstlerin und Aktivistin mit historischen Kulturobjekten aus dem Mosul Museum beschäftigt, die 2014 durch den sogenannten Islamischen Staat zerstört wurden. Dabei geht es ihr weniger um die Wiederherstellung eines ursprünglichen Zustands oder um eine digitale Kopie des Originals als vielmehr um die virtuelle Realität dieser Objekte, um ihre kulturelle Bedeutung und deren politische Instrumentalisierung. Gestützt auf den eigenen Rechercheprozess und mithilfe von 3D-Techniken rekonstruiert Allahyari zwölf dieser zerstörten Artefakte. Sie fertigt durchsichtige 3D-Drucke der Objekte an und verewigt alle gesammelten und aufgearbeiteten Informationen zu diesen Objekten auf einer Memory Card: Fotos, Videos, Emailverläufe, Artikel und auch die CAD-Dateien der rekonstruierten Artefakte. Diesen Informationsspeicher lässt sie in den Innenraum der 3D-Drucke ein, von wo aus er verheißungsvoll, jedoch für das Publikum unerreichbar durch das durchsichtige Material hindurch scheint. King Uthal ist ein besonderes Beispiel aus dieser Werkreihe, da die künstlerische Arbeit nicht als materielles Ausstellungsobjekt – als durchsichtiger 3D-Druck – gehandhabt wird, sondern in Form einer downloadbaren .zip-Datei zugänglich ist.

 

Kompetenzen – Was kann Material Speculation – King Uthal.zip

Durch den Download von King Uthal werden wir gleichsam zu Besitzer*innen und Co-Produzent*innen des Kunstwerks wie auch unser Desktop zum Ausstellungsdisplay wird. Wir können selbst entscheiden, in welcher Form wir die Virtualität des Objekts aktualisieren – ob wir uns die hochaufgelöste 3D-Rekonstruktion als bewegliches Bildobjekt auf dem Bildschirm anschauen oder eine materielle Kopie davon anfertigen möchten, ob wir zum Beispiel in den Ordnern „EMAILS 2015“ oder „LIST FROM MOSUL MUSEUM“ in die Tiefe von Allahyaris Suche nach Informationen zu den Artefakten abtauchen oder uns mit der dschihadistischen Ideologie hinter der medialen Inszenierung von deren Zerstörung auseinandersetzen möchten. Während all diese Informationen im musealen Kontext vor den Rezipient*innen innerhalb der 3D-Drucke verborgen bleiben und nur durch deren unwahrscheinliche Zerstörung zugänglich werden würden, kehrt King Uthal als Download dieses Verhältnis um: erst unser Umgang mit den Daten, erst ihre Aktivierung lässt überhaupt ein Bild von King Uthal entstehen.

 

Erkenntnisse – Was zeigt Material Speculation – King Uthal.zip

Angewiesen auf unsere Interaktion mit dem Datenmaterial im Modus seiner ständigen Neuanordnung lässt sich King Uthal als born-digital-art beschreiben, also als Kunst, in die die partizipativen und distributiven Eigenschaften des Digitalen eingeschrieben sind. Und genau darin entfaltet King Uthal sein widerständiges Potenzial: der Status des Kunstwerks, das virtuelle Objekt bleibt prekär, selektiv und notwendiger Weise unabgeschlossen. Es widersetzt sich traditionellen künstlerischen Kategorien, die etwa die Aura des Originals, die Frage nach Besitzverhältnissen oder den Rahmen der Präsentation betreffen. King Uthal als Download lässt also den eigenen Desktop zu einem Ort werden, in dem die Co-Produktion und die Rezeption der künstlerischen Arbeit zusammenfallen. Indem wir dabei die Lesarten und medialen Darstellungsweisen von King Uthal vervielfältigen und verkomplizieren, werden wir zu Kompliz*innen in der künstlerischen Strategie des Widerstands, die sich gegen die eindimensionale Instrumentalisierung von kulturellem Erbe, gegen die polarisierende Konfrontation kultureller Werte als Machtinstrument richtet.

Werkinformationen

Desktopvideo von Morehshin Allahyari: King Uthal aus der Serie Material Speculation: ISIS, courtesy of the artist und Rhizome, 2015, Video: Manischa Eichwalder

Quellen

morehshin.com: Material Speculation: ISIS (2015-2016) – King Uthal.zip.: https://morehshin.com/material-speculation-isis/ (letzter Zugriff: 11.07.23).

rhizome.org: The Download. The Distributed Monument – King Uthal: https://rhizome.org/editorial/2016/feb/16/morehshin-allahyari/ (letzter Zugriff: 11.07.23).

 

Weiterführende Links und Literatur:

Dekker, Annet (2021): Curating Digital Art. From Presenting and Collecting Digital Art to Networked Co-Curation. In: Dies. (Hg.): Curating Digital Art. Amsterdam: Valiz, S. 14–33.

Fuhrmann, Larissa-Diana (2021): Contestations of the „War on Terror“ and the so-called Islamic State in Art. In: Ausst. Kat: Mindbombs. VisuelleKulturen politischer Gewalt, 10.09.2021–24.04.2022, Kunsthalle Mannheim. Bielefeld: Kerber, S. 145–152.

Paul, Christiane (2016): From Digital to Post‐Digital – Evolutions of an Art Form. In: Dies. (Hg.): A Companion to Digital Art. Chichester, West Sussex, UK: Wiley, S. 1–19.

 

Das Virtuelle Objekt des Monats

Ab April 2023 stellen wir jeden Monat ein „Virtuelles Objekt des Monats“ (VOM) auf der Website des Sonderforschungsbereichs 1567 „Virtuelle Lebenswelten“ vor. Die präsentierten Objekte entstammen der Forschung in den Teilprojekten. Im Zusammenspiel von Text und Animation, desktop- oder smartphonebasierter Augmentierung oder anderer grafischer Aufbereitungen eröffnen wir Einblicke in die verschiedenen Forschungsthemen und den Arbeitsalltag des SFB. Das VOM macht unsere Wissensproduktion transparent. Zugleich wollen wir hier mit den Möglichkeiten und Grenzen der Wissensvermittlung in und durch Virtualität und Visualität experimentieren.

Das „Virtuelle Objektdes Monats“ ist mehr als ein populärwissenschaftlicher Text und mehr als ein illustrierendes Bild. Die Autor*innen des jeweiligen VOM präsentieren kurz einen Gegenstand ihrer Forschung um daran ein Argument scharfzustellen. Dabei werden die Objekte auf ihren Mehrwert hin befragt, den sie in dem jeweiligen Forschungssetting preisgeben. Mit dem Text skizzieren unsere Wissenschaftler*innen das Bemerkenswerte, das Eigentümliche oder auch das Einzigartige, welches das jeweilige Objekt zeigt. Sie machen so die Forschung des SFB in einem kurzweiligen Schlaglicht sichtbar. Die zum VOM gehörende Visualisierung ist eine weitere Transformation des Forschungsgegenstands, die das Argument noch einmal auf eine andere Art und Weise zugänglich macht.