Virtuelles Objekt des Monats

Klappkiste

Ein Objekt, das Forscher*innen, Kabel und Daten zusammenbringt

Fabian Pittroff, Gerrit van Gelder und Tim Krauß

Mai 2023
twoclickplayer-eSrDyZKJeg0
Entstehungsgeschichte und Kompetenzen – Was kann die Klappkiste?

Es ist die Aufgabe einer Klappkiste, Dinge zu transportieren – in unserem Fall mehr als eine Handvoll Kabel, Adapter und Kleingeräte von einem Raum in einen anderen. Im 8. Stock des Gebäudes GB befinden sich die Büros von Forscher*innen und andere Räume ihrer Zusammenarbeit. Wenn sich die Mitglieder des SFB hier treffen, brauchen sie dafür eine technische Infrastruktur – etwa um Kolleg*innen zuzuschalten, die nicht vor Ort sind, oder um gemeinsam Forschungsmaterial auf großen Bildschirmen anzusehen. Die dafür notwendigen Kabel und Adapter, die persönliche Computer mit der Technik im Raum und dem Internet verbinden, lagern bei Nichtbenutzung im Büro von INF in GB 8/33. Dort werden sie immer wieder kurzfristig herausgeholt und in unterschiedliche Räume gebracht. Bei diesem Transport kommt die Klappkiste ins Spiel. Wer einmal versucht hat, drei Kabel und fünf Adapter von einem Raum in einen anderen zu bringen, versteht sofort den Nutzen einer solchen Kiste.

Es lohnt sich, detailliert nachzuvollziehen, was die Klappkiste des Teilprojekts INF tut und was mit ihr getan wird. Es gehört deshalb zu den wichtigsten Methoden des Projekts „Informationsinfrastruktur: Technik und Praxeologien“ kleinteilig und ein wenig naiv mitzuverfolgen, was genau in solchen Situationen vonstattengeht – nicht selten unauffällig und im Hintergrund. Dieses Verfahren der Praxeografie wurde von der niederländischen Anthropologin Annemarie Mol entwickelt und soll nachzeichnen, wie soziale und materielle Welten in und durch Praktiken entstehen und verändert werden. Praxeografische Forschung interessiert sich dabei weniger für fixe Konstruktionen, als für die dynamischen Prozesse, in denen Menschen, Dinge und andere Wesen in wechselnden Rollen miteinander agieren.

Erkenntnisse – Was zeigt die Klappkiste?

Wenn man mit dieser praxeografischen Sensibilität an Situationen teilnimmt, fällt auf, dass die Kiste virtuell ist: Als ein Objekt zum Klappen und Falten ist sie die meiste Zeit keine funktionierende, sondern nur eine potenzielle Kiste ist. Sobald sie eine funktionierende Kiste wird, ist sie virtuell, weil sie als Behältnis die Fähigkeit hat – ähnlich wie Schalen, Körbe oder Beutel – andere Dinge zu versammeln und so zu Dingen im Gebrauch machen. Die Kiste bringt ruhende Objekte in einen aktiven Zusammenhang: Kabel und Adapter, die kleinen Brücken und Bindeglieder der Infrastruktur, geraten für einen kurzen Moment ins Zentrum der Aufmerksamkeit, bevor sie sich wie vorgesehen angeschlossen an ihrem Platz wiederfinden und lautlos ihren Dienst tun. Mit all dem steht die Klappkiste für die Arbeit und Forschung im Teilprojekt INF, weil sie auf die Praktiken und Abläufe der Infrastrukturierung aufmerksam macht, die der Forschung im SFB zugrunde liegen. Bevor die Daten durch die Kabel gehen können, müssen die Kabel durch die Kiste gehen.

Weiterführende Literatur

Beyes, Timon; Holt, Robin; Pias, Claus (Hg.) (2020): The Oxford Handbook of Media, Technology, and Organization Studies. Oxford: Oxford University Press.

de Laet, Marianne; Mol, Annemarie (2000): „The Zimbabwe Bush Pump, Mechanics of a FluidTechnology“. In: Social Studies of Science 30, S. 225–263.

Mol, Annemarie (2017): Krankheit tun, mit einer Einführung von Estrid Sørensen und Jan Schank. In: Bauer, Susanne; Heinemann, Torsten; Lemke, Thomas (Hg.): Science and Technology Studies. Klassische Positionen und aktuelle Perspektiven. Berlin: Suhrkamp, S. 407–470.

Das Virtuelle Objekt des Monats

Ab April 2023 stellen wir jeden Monat ein „Virtuelles Objekt des Monats“ (VOM) auf der Website des Sonderforschungsbereichs 1567 „Virtuelle Lebenswelten“ vor. Die präsentierten Objekte entstammen der Forschung in den Teilprojekten. Im Zusammenspiel von Text und Animation, desktop- oder smartphonebasierter Augmentierung oder anderer grafischer Aufbereitungen eröffnen wir Einblicke in die verschiedenen Forschungsthemen und den Arbeitsalltag des SFB. Das VOM macht unsere Wissensproduktion transparent. Zugleich wollen wir hier mit den Möglichkeiten und Grenzen der Wissensvermittlung in und durch Virtualität und Visualität experimentieren.

Das „Virtuelle Objekt des Monats“ ist mehr als ein populärwissenschaftlicher Text und mehr als ein illustrierendes Bild. Die Autor:innen des jeweiligen VOM präsentieren kurz einen Gegenstand ihrer Forschung um daran ein Argument scharfzustellen. Dabei werden die Objekte auf ihren Mehrwert hin befragt, den sie in dem jeweiligen Forschungssetting preisgeben. Mit dem Text skizzieren unsere Wissenschaftler:innen das Bemerkenswerte, das Eigentümliche oder auch das Einzigartige, welches das jeweilige Objekt zeigt. Sie machen so die Forschung des SFB in einem kurzweiligen Schlaglicht sichtbar. Die zum VOM gehörende Visualisierung ist eine weitere Transformation des Forschungsgegenstands, die das Argument noch einmal auf eine andere Art und Weise zugänglich macht.