Ein Energiespeicher mit virtuellem Potenzial
Stefan Laser
Entstehungsgeschichte – Warum ein Energy Stack?
Ende 2022 haben wir am Sonderforschungsbereich einen Raspberry Pi-Computer eingekauft, um am weltweiten Abenteuer dezentraler sozialer Medien teilzuhaben. Mastodon und Fediverse lauten die Schlagworte. Aber wir wollten nicht nur einen Server betreiben. Unsere Idee war, über dezentrale Energiesysteme die Nachhaltigkeit von sozialen Medien zu beleuchten. Die Idee entstand in einem mehr-als-SFB1567-Kollektiv, das von Ontario über Bochum bis nach Vietnam reicht. Und dort geriet es ins Stocken, durch eine Box namens Energy Stack.
Kompetenzen – Was kann ein Energy Stack?
Ein Energy Stack ist ein Batteriespeicher. Man kann z.B. auf der einen Seite ein handelsübliches Solarmodul anschließen und auf der anderen Seite einen Raspberry Pi betreiben. Das Gerät übernimmt alle notwendigen Übersetzungsarbeiten, etwa die Umwandlung von Gleichstrom (Solar) in Wechselstrom (Endgerät). Das sollte unsere Brücke in das Fediverse sein. Abb. 1 fasst den Versuchsaufbau zusammen.
Das Gerät hat insofern Potenzial, als dass es den Betrieb von digitalen Medien an den natürlichen Fluss von Sonnenenergie koppelt. Wenn kein Strom fließt, so der Gedanke, geht das System eben für einige Stunden vom Netz. Dieses Vorgehen erschien den beteiligten Wissenschaftler*innen als smarte Anordnung (Laser et al. 2022).
Wir haben uns also einen Versuchsaufbau vorgestellt, bei dem Solarenergie ein technisches System absichert. Einige Internetseiten arbeiten bereits mit einem ähnlichen „Solarprotokoll“. Aber es ist kompliziert. Das Besondere am dezentralen System des Fediversums ist es, dass Einzelpersonen, Gruppen oder Kollektive eine eigene „Instanz“ aufsetzen können – sie können eigene Server hosten. Sich in diesem Sinne als „Host“ zu imaginieren hat materielle Grenzen, denn es gibt Ansprüche an den Energiezufluss.
Erkenntnisse – Was zeigt das Energy Stack?
Der Energy Stack hatte einen besonderen Standort. Wir testeten das System in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi im Rahmen einer Forschungsreise, bei der Fragen zu Wertschöpfungsketten und ökologischen Nebenwirkungen von Rechenzentrums-Hardware im Mittelpunkt standen. Es schien gut zu passen: Ein Teilprojekt geht für einen bestimmten Zeitraum in den Osten und nutzt die dortigen Sonnenstunden für ein Realexperiment. Daraus ergab sich auch ein analytischer Mehrwert für das Teilprojekt, da es sich mit der Neukonzeption von Rechenzentren beschäftigt.
Der Energy Stack hat jedoch mit rund 4 Watt einen relativ hohen Eigenbedarf, der den des Raspberry Pis noch einmal um das doppelte übersteigt und selbst bei vielen Sonnenstunden in der Summe einen erheblichen Verbrauch ausmacht. Zudem herrscht in Hanoi eine derart hohe und konstante Luftverschmutzung, sodass die meiste Zeit des Jahres nicht ausreichend Energie auf dem 100W-Modul produziert werden kann, um diesen Energy Stack zu betreiben. Die Option, das System nur wenige Stunden am Tag laufen zu lassen, fand wiederum ihre Grenzen in der Fediverse-Software. Wenn eine Instanz eine gewisse Zeit aus dem Netzwerk entkoppelt ist, also keine Updates aus dem Netzwerk erhält, holt sie das Defizit nach. Dies erhöht den Energiebedarf und führt zu einer spürbaren Verringerung der Leistung und damit der Nutzbarkeit des Systems.
Nun ist das Projekt nicht einfach gescheitert – dem Scheitern wohnt ein Lernprozess inne. Der Energy Stack fordert dazu auf, sich Räume zu erschließen und in Umwelten hineinzudenken. Mit dem Speicher im Sinn schauen wir anders auf Geräte und ihre Bedarfe. Das Fediverse ist weitgehend darauf ausgelegt, Medien wie Bilder und Videos auf verschiedenen Servern zwischenzuspeichern: Die Nutzer*innen verbinden sich über verschiedene Server mit dem Netzwerk und können sich gegenseitig „folgen“. Wenn ein*e User*in von {Server A} einen Beitrag versendet und eine User*in von {Server B} als Follower*in mit ihm*ihr verbunden ist, lädt der Server automatisch Text und Medien herunter. Alle Daten werden auf dem sekundären Speicher des Servers gespeichert. Dieses Caching macht jeder Server separat. Daraus ergibt sich eine große energetische und materielle Last. Mit der oben beschriebenen Erfahrung im Hinterkopf ist es unmittelbar ersichtlich, weshalb hier ein Flaschenhals besteht. Mastodon-Alternativen wie GoToSocial wenden sich diesem Problem aktiv zu (vgl. Laser 2023) – manche erkennen gar ein „Slow Fedi Movement“ (Small patatas 2024). In jedem Fall verbraucht selbst ein Mastodon-Serversystem weniger Ressourcen als die massiven, auf Werbung und Datenauswertung angelegten kommerziellen Systeme von X, TikTok und Co.
Ein Batteriespeichersystem ist eine virtuelle Technologie: Die Umwandlung von Energie ermöglicht zukünftiges Handeln. Es entfaltet Potenziale. Ein Speichersystem ist aber nicht frei verfügbar, es muss zusammen mit Anwendungen und Umweltfaktoren zugänglich gemacht werden. „Stacking“ ist anspruchsvoll und hängt von Ökologien der Produktion und Nutzung von Energie ab. Die Erfahrung mit dem Energy Stack ist trotz allem mehr als eine materielle, rein energetische Erfahrung. Mit dem Objekt lässt sich gut denken. Der Versuch geht weiter.
Quellen
Laser, Stefan, Anne Pasek, Estrid Sørensen, Mél Hogan, Mace Ojala, Jens Fehrenbacher, Maximilian Gregor Hepach, Leman Çelik, Koushik Ravi Kumar (2022) “The environmental footprint of social media hosting: Tinkering with Mastodon”. EASST Review, 41(3) 2022. https://www.easst.net/article/the-environmental-footprint-of-social-media-hosting-tinkering-with-mastodon/
Laser, Stefan (2023): “Comparing Fediverse software for hosting: Ease of use, efficiency, waste”, stefanlaser.net. https://stefanlaser.net/2023/12/18/comparing-fediverse-software.html
Small patatas (2024) :“The slow fedi movement: Toward a green, independent, and equitable Fediverse” (patatas.ca), Patatas.ca. https://thedabbler.patatas.ca/pages/slow-fedi.html
Weiterführende Literatur
Brain T, Nathanson A, Piantella B (2022): “Solar protocol: Exploring energy-centered design. In: Eighth Workshop on Computing within Limits 2022. https://computingwithinlimits.org/2022/papers/limits22-final-Brain.pdf.
De Decker, Kris (2023): “How to builda small solar power system”, Low-Tech Magazine. https://solar.lowtechmagazine.com/2023/12/how-to-build-a-small-solar-power-system/
Dunbar-Hester, Christina (2024): “Showing your ass on Mastodon: Lossy distribution, hashtag activism, and public scrutiny on federated, feral social media”, First Monday29(3-4).
Fedi.tips (2024): “What is Mastodon? What is the Fediverse?”, Fedi.tips. https://fedi.tips/what-is-mastodon-what-is-the-fediverse/
Das Virtuelle Objekt des Monats
Seit April 2023 stellen wir jeden Monat ein „Virtuelles Objekt des Monats“ (VOM) auf der Website des Sonderforschungsbereichs 1567 „Virtuelle Lebenswelten“ vor. Die präsentierten Objekte entstammen der Forschung in den Teilprojekten. Im Zusammenspiel von Text und Animation, desktop- oder smartphonebasierter Augmentierung oder anderer grafischer Aufbereitungen eröffnen wir Einblicke in die verschiedenen Forschungsthemen und den Arbeitsalltag des SFB. Das VOM macht unsere Wissensproduktion transparent. Zugleich wollen wir hier mit den Möglichkeiten und Grenzen der Wissensvermittlung in und durch Virtualität und Visualität experimentieren.
Das „Virtuelle Objektdes Monats“ ist mehr als ein populärwissenschaftlicher Text und mehr als ein illustrierendes Bild. Die Autor*innen des jeweiligen VOM präsentieren kurz einen Gegenstand ihrer Forschung um daran ein Argument scharfzustellen. Dabei werden die Objekte auf ihren Mehrwert hin befragt, den sie in dem jeweiligen Forschungssetting preisgeben. Mit dem Text skizzieren unsere Wissenschaftler*innen das Bemerkenswerte, das Eigentümliche oder auch das Einzigartige, welches das jeweilige Objekt zeigt. Sie machen so die Forschung des SFB in einem kurzweiligen Schlaglicht sichtbar. Die zum VOM gehörende Visualisierung ist eine weitere Transformation des Forschungsgegenstands, die das Argument noch einmal auf eine andere Art und Weise zugänglich macht.