Ein Tisch der Welten vermittelt
Stefan Rieger
Entstehungsgeschichte – Was ist der Wobbly Table?
Der Wobbly Table entstammt einer Publikation aus dem Jahr 2016 und ist dort Teil einer Anordnung, die das Verhältnis von Virtualität und Realität auslotet. Er fragt danach, welche Rolle der unmerklichen Wahrnehmung einer Tischbewegung für die Glaubwürdigkeit einer sozialen Interaktion zukommt.
Kompetenzen – Was kann der Wobbly Table?
Was aber genau tut er? An einem Tisch, der zu einer Hälfte im realen Raum, zur anderen im virtuellen Raum aufgestellt ist, werden ein Mensch und ein virtueller Avatar platziert. Die Aufgabe der beiden Akteure ist es, ein Begriffsratespiel mit Karten zu spielen. Dabei kann das Setting so angelegt sein, dass sich der Tisch bei kleinen Gewichtsverlagerungen leicht bewegt oder eben starr bleibt. Entsprechend dieser Vorentscheidung werden zwei Experimentalanordnungen gebildet: Eine Gruppe interagiert mit dem Virtual Human an einem wackeligen, die andere spielt an einem starren Tisch. In anschließenden Untersuchungen nach dem empfundenen Realitätsgehalt und der sozialen Gefühltheit der Situation befragt, schlägt die Stunde der unmerklichen Bewegung: Der wacklige Tisch hat seine Funktion erfüllt. Im Modus der inszenierten Instabilität stabilisiert sich der Eindruck von Gemeinschaft und Gegenwärtigkeit. Wo gewackelt wird, ist Welt.
Erkenntnisse – Was zeigt der Wobbly Table?
Was der Tisch leistet und was ihn auszeichnet, ist ein eigentümlicher Beitrag zur Technikgeschichte. Während wir gewohnt sind, diese als eine Geschichte der technischen Perfektion zu erzählen, steht hier ein Ungenügen, etwas Fehlerhaftes zur Verhandlung. Der Tisch erbringt seine Leistung gerade im Zustand des Nicht-Funktionalen, des Gestörten. Im Kneipenalltag würde man sein Wackeln kurzerhand mit Bierdeckeln aus der Welt schaffen. Dieser Wobbly Table aber generiert gerade durch seinen Fehler, durch sein Wackeln Präsenz und Sozialität. Dies geschieht im Modus eines Unbewussten, man nimmt es wahr, ohne es bewusst zu bemerken. Am Wobbly Table wird die Übergängigkeit zwischen Realem und Virtuellem sichtbar und plausibel. Der Tisch wird zum Möbel einer Weltenvermittlung.
Lee, Myungho; Kim, Kangsoo; Daher, Salam; Raij, Andrew; Schubert, Ryan; Bailenson, Jeremy; Welch, Greg (2016): „The Wobbly Table: Increased Social Presence via Subtle Incidental Movement of a Real-Virtual Table“. In: 2016IEEE Virtual Reality (VR), S. 11–17 (DOI: 10.1109/VR.2016.7504683).
Rieger, Stefan (2022): Reduktion und Teilhabe. Kollaborationen in Mixed Societies. Berlin: Matthes & Seitz, darin bes. Kapitel XVI: Das Pastorat der Dinge und Daten. Open Access unter: https://omp.ub.rub.de/index.php/RUB/catalog/book/252
Ab April 2023 stellen wir jeden Monat ein „Virtuelles Objekt des Monats“ (VOM) auf der Website des Sonderforschungsbereichs 1567 „Virtuelle Lebenswelten“ vor. Die präsentierten Objekte entstammen der Forschung in den Teilprojekten. Im Zusammenspiel von Text und Animation, desktop- oder smartphonebasierter Augmentierung oder anderer grafischer Aufbereitungen eröffnen wir Einblicke in die verschiedenen Forschungsthemen und den Arbeitsalltag des SFB. Das VOM macht unsere Wissensproduktion transparent. Zugleich wollen wir hier mit den Möglichkeiten und Grenzen der Wissensvermittlung in und durch Virtualität und Visualität experimentieren.
Das „Virtuelle Objekt des Monats“ ist mehr als ein populärwissenschaftlicher Text und mehr als ein illustrierendes Bild. Die Autor:innen des jeweiligen VOM präsentieren kurz einen Gegenstand ihrer Forschung um daran ein Argument scharfzustellen. Dabei werden die Objekte auf ihren Mehrwert hin befragt, den sie in dem jeweiligen Forschungssetting preisgeben. Mit dem Text skizzieren unsere Wissenschaftler:innen das Bemerkenswerte, das Eigentümliche oder auch das Einzigartige, welches das jeweilige Objekt zeigt. Sie machen so die Forschung des SFB in einem kurzweiligen Schlaglicht sichtbar. Die zum VOM gehörende Visualisierung ist eine weitere Transformation des Forschungsgegenstands, die das Argument noch einmal auf eine andere Art und Weise zugänglich macht.