Eintauchen in die »Grand Illusion«
Ende August hatte ein kleines Team aus Forschenden des Sonderforschungsbereichs 1567 »Virtuelle Lebenswelten« die Gelegenheit das Teylers Museum in Haarlem zu besuchen. Dieser Ausflug gab uns die Gelegenheit, unsere Forschung zu den Themen Virtualität unter geschichtswissenschaftlichen, medienhistorischen und wissenschaftsgeschichtlichen Aspekten der Immersion und Illusion zu reflektieren. Besonders die Sonderausstellung »Grand Illusion: 200 years of virtual realities« erwies sich dabei als eine tiefgehende und inspirierende Erfahrung, die wir vor allem im Gespräch mit der Kuratorin für Wissenschaft – Trienke van der Spek – reflektieren konnten. Ein Bericht von Lena Ciochon und Suzette van Haaren.
Zunächst begann unser Besuch in der Dauerausstellung des Museums, die uns Einblicke in Naturwissenschaften, Kunst und Geschichte bot. Das Teylers Museum, das älteste Museum der Niederlande, wurde im Jahr 1778 gegründet. Es bietet eine beeindruckende Sammlung, die von Fossilien und Mineralien über historische physikalische Instrumente bis hin zu Meisterwerken der Kunst reicht. Für uns als Forschende boten diese Gerätschaften, die der wissenschaftlichen Erfassung von Umwelt(en) und ihrem Verständnis dienten, im Grunde ein Kontrastprogramm zu der Sonderausstellung »Grand Illusion«.
Zentraler Anlass für unseren Besuch war eben diese Sonderausstellung »Grand Illusion«. Sie widmete sich ausgehend vom 19. und 20. Jahrhundert der Faszination von Illusionen, visuellen Täuschungen und den Grenzen unserer Wahrnehmung – Themen, die auch immer wieder im Kontext unserer Forschung zu, mit und in »virtuellen Lebenswelten« anklingen.
Die Ausstellung bot eine Vielzahl von Exponaten, mechanischen Apparaturen und Installationen, die sich mit der Frage beschäftigten, wie unser Gehirn Realität konstruiert und wie es dabei getäuscht werden kann. Ein Spiegelraum ließ die Besucher*innen selbst in vielfacher Anzahl erscheinen, während flackerndes Licht für eine Raumtiefe sorgte. Von anamorphotischen und stereoskopischen Bildern über optische Täuschungen bis hin zu einer modernen Virtual-Reality-Installation (die leider bei unserem Besuch nicht mehr zur Verfügung stand) – »Grand Illusion« forderte uns an manchen Stellen heraus, unsere eigenen Wahrnehmungen zu hinterfragen. Sehr interessant waren die Displays mit einem »Peppers Ghost« und dem so genannten Kaiserpanorama –, einem großen Stereoskop, in dem man eine rotierende Menge von Glastafeln betrachten konnte.
Für uns als Team des Sonderforschungsbereichs boten der Besuch der Ausstellung »Grand Illusion« im Teylers Museum und das anschließende Gespräch mit der Kuratorin Trienke van der Spek die Gelegenheit, unsere eigene Forschung im Lichte der Ausstellung zu reflektieren. Im Austausch mit van der Spek konnten wir zudem Einblicke in die Konzeption und den wissenschaftlichen Hintergrund der Ausstellung erlangen – uns eröffnete sich eine »andere Realität«, die wohl den meisten Besuchenden verwehrt bleibt. Wir stellten fest, wie stark die Konzepte von Virtualität und Illusion in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen miteinander verflochten sind. Ob in der Geschichtswissenschaft, der Neurowissenschaft oder der Informatik – die Frage, wie wir Realität erfahren und gestalten, ist allgegenwärtig. Was die Ausstellung jedoch nicht in den Blick nahm, war die Wahrnehmung derer, die das Aufkommen dieser historischen Illusionen miterlebt haben. Ohne die Zeugnisse der Zeit, blieb die (Be-)Deutung der Objekte und Installationen eine selbstreflexive Momentanalyse. Dennoch boten uns die Ausstellung »Grand Illusion« und das Gespräch mit van der Spek zahlreiche Anregungen.
Unser Ausflug ins Teylers Museum verschaffte uns die Gelegenheit, die Verbindungen zwischen historischen Konzepten der Illusion und unserer Virtualitätsforschung zu erkunden. Die Sonderausstellung »Grand Illusion« beschränkte sich zeitlich auf das 19. und 20. Jahrhundert, was zweifelsohne eine bedeutende Ära für den Fortschritt in der Technik und Wissenschaft der Illusionen war. Davon ausgehend ist für uns, die wir uns mit vielfältigen Phänomenen der virtuellen Realität beschäftigen, eine medien- und technikhistorische bis in die Gegenwart reichende, umfassende Perspektive unumgänglich. Welche Entwicklungen führten im weiteren Verlauf zu den digitalen, hochimmersiven Welten, mit denen wir uns heute beschäftigen? Und wie veränderte sich die Wahrnehmung von »virtuellen« Erfahrungen im Laufe der Zeit? Auch wenn die Quellenlage über die damaligen Wahrnehmungen begrenzt ist, regt sie gerade deshalb zu weiterführenden Überlegungen an, wie sich Illusion und Immersion im Laufe der Jahrhunderte gewandelt haben, welche Rolle sie in der Zukunft spielen könnten und welchen Stellenwert sie in unserer Forschung haben werden.
Lena Ciochon und Suzette van Haaren
Fotos: ©SFB 1567, 2024