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Forschungsstudierender Lennart Schmidt

Virtuelle Männlichkeit

Lennart Schmidt ist Forschungsstudent im Teilprojekt C03 »Virtuelle Kunst«. Sein Forschungsprojekt »Virtuelle Männlichkeiten« untersucht den Umgang digitaler Kunst mit Männlichkeitskonstruktion (im Virtuellen). Dabei geht es ihm um die wechselseitige Beeinflussung von virtuellem und analogem Raum und die Antwort von Künstler*innen darauf.

26. März 2025

Technische, digitale und auch virtuelle Lebenswelten sind, wie analoge, von patriarchalen Machtstrukturen durchzogen und haben gleichzeitig einen enormen Einfluss auf unser Leben. So verdienen acht der zehn reichsten Menschen der Welt (selbstredend allesamt männlich) ihr Geld in der Techbranche.[1]Zusätzlich ist bei z.B. IT-Fachkräften oder Informatik-Studierenden der Anteil männlicher Personen wesentlich größer als der weiblicher.[2] Künstler, die sich mit dem Virtuellen Raum in ihrer Arbeit auseinandersetzen, kommen so auch mit dem Thema der (hegemonialen) Männlichkeit in Kontakt, müssen sich dazu positionieren. Heute leben wir in einer digitalen Zeit, die nicht nur in der visuellen Kultur des Internets geprägt, sondern auch von ihr beeinflusst wird. Virtuelle und analoge Lebenswelten verschmelzen zunehmend, können immer schwerer voneinander getrennt werden.[3]

Meine Forschung soll nun diese beiden Aspekte zusammenbringen und bedient sich dazu zweier großer theoretischer Modelle: der Männlichkeitsforschung, aufbauend etwa auf Raewyn Connell und, um die Wechselbeziehung von Virtuellem und Analogem nachvollziehen zu können, den Theorien Jean Baudrillards zur Hyperrealität und zum Simulakrum.

Männlichkeit beschränkt sich nicht nur auf ein bestimmtes Bild, sondern lässt sich in viele verschiedene Facetten unterteilen. Modelle von Männlichkeit befinden sich in einem stetigen Wettstreit um eine Deutungshoheit, eine Vormachtstellung. Dieses Konzept wurde von R. Connell als »Hegemoniale Männlichkeit« bezeichnet. In ihrem Buch »Masculinities« formulierte sie bereits in den 1980ern wie sich patriarchale Machtstrukturen selbst formen und auf die Gesellschaft einwirken. Zentral ist dabei für die Soziologin eine doppelte Dominanzlogik, die sowohl auf hetero- als auch homosozialer Ebene wirkt. Grundlegend grenzen sich Männer erst einmal von Frauen ab, so produzieren sie die patriarchale Hegemonie. Untereinander konkurrieren die verschiedenen Ideen von Männlichkeit wiederum um eine Vorherrschaft im Feld der Männer.[4]

Mit dem Begriff des Simulakrums bezeichnet der französische Philosoph und Medientheoretiker Jean Baudrillard die neue Form von Zeichen, mit denen wir in der (Post-)Moderne kommunizieren. Simulakra sind anders als Symbole, da sie keinen realen Referenzpunkt mehr haben. Gesellschaftliche Prozesse finden heute in der Kommunikation mit zunehmend abstrakter werdenden Simulakra statt.[5] Die Simulakra sind Bilder einer Welt, die nicht mehr real ist sondern hyperreal:

»Die Realität geht im Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung des Realen, vorzugsweise auf der Grundlage eines anderen reproduktiven Mediums - Werbung, Photo etc., Medium zu Medium verflüchtigt sich das Reale, es wird zur Allegorie des Todes, aber noch in seiner Zerstörung bestätigt und überhöht es sich: es wird zum Realen schlechthin, Fetischismus des verlorenen Objekts - nicht mehr Objekt der Repräsentation, sondern ekstatische Verleugnung und rituelle Austreibung seiner selbst: hyperreal.«[6]

Produziert werden diese Simulakra durch Massenmedien wie das Fernsehen. Schon lange vor dem Internet, 1976, sieht Baudrillard eine hyperreale Übersättigung mit diesen Simulakra, die zunehmend selbstreferenziell werden und sich nun gegenseitig abbilden.[7]

Abb. 1: Virgin vs. Chad: https://i.kym-cdn.com/entries/icons/original/000/023/200/cover8.jpg

Eine beispielhafte Verknüpfung von Männlichkeitsentwürfen und Digitalkultur findet sich im Phänomen der Incels (kurz für Involuntary Celibate), meist junge Männer, die ungewollt keinen sexuellen Kontakt zu Frauen haben und sich in Internetforen darüber austauschen. Kommuniziert wird auch über Memes wie das hier abgebildete Virgin vs. Chad. Es lebt von der Gegenüberstellung zweier Stereotype: dem jungfräulichen Versager und dem ihm überlegenen, (bei Frauen) erfolgreichen Chad. In Extremfällen wurden etwa Rechtsterroristen als Chad in solchen Memes dargestellt.[8] Die Idee, dieses patriarchale System abzulehnen oder verändern zu wollen kommt den Incels nicht. Vielmehr wird durch ihre Abwertung und (physische) Gewalt gegen Frauen dieser Teil der hegemonialen Männlichkeit aufrechterhalten. Dadurch, dass sie überhaupt und auch noch so rabiat andere Menschen abwerten, bekennen sie sich zu einer gesellschaftlichen Ordnung, die auf Unterdrückung fußt. Als Identifikationsfigur können in den Kommunikationsforen der Incels sowohl der überlegene Chad als auch der unterlegene Virgin fungieren. Gerade letzterer wird oft als Begründung für den Hass auf Frauen herangezogen, der sich bis zu Gewalttaten steigern kann.[9]

Abb. 2: Blume, Jonas: Chad and Virgin (2021) https://jonasblume.com/chad-and-virgin

Eine künstlerischeAuseinandersetzung mit dem Thema findet sich bei Jonas Blumes Arbeit Chad and Virgin (2021). Der Künstler projizierte hierfür zwei digital erstellte Bilder auf eine rechteckige Leinwand in einem blau beleuchteten Raum. Das Virgin vs Chad Meme kann, gerade weil es ein Machtgefälle zwischen zwei Männern zeigt, als direktes Symptom der von Connell benannten hegemonialen Männlichkeit gesehen werden.

Blume schafft hier eine Parodie des Memes, welches sein Original an zwei zentralen Punkten angreift. Zum einen durch Entkontextualisierung: Außerhalb von Internetforen wie Reddit oder 4 Chan fehlt dem Zeichen das Publikum. In der physischen Welt, wenn auch als Projektion, gibt es nichts auf das sich diese beziehen können. Zum anderen löst er die Logik des Memes auf. Sind beide Charaktere nun Abbild des Künstlers selbst, so löst sich die Dualität des Incel Denkens auf. Auf dem drehenden Brett sieht man nun, dass die beiden als extreme Gegenteile gefragten Charaktere eigentlich nur Seiten derselben Medaille sind.

Als Mittel gegen den ewigen Kreislauf aus Simulakren und Simulation sieht Baudrillard nur einen Ausweg, den Falko Blask in seinen Einführungsband zu dem französischen Philosophen so formuliert: »Man kann nichts gegen das System ausrichten, aber man kann es überlisten, indem man mitspielt – nicht weil man glaubt anders wäre es besser, sondern weil man die systemimmanente Eigenlogik durchschaut hat und die Möglichkeit sieht, diese ad absurdum zu führen.«

So lässt sich auch Blumes Vorgehen hier verstehen. Durch Memes wie Virgin vs. Chad wird die Incel-Ideologie geformt. Sie reproduzieren nicht real existierende Männer, sondern schon abstrahierte Varianten von stereotypen Männlichkeitsentwürfen (der Frauenheld und der Loser). Das Meme an sich ist bereits ein Simulakrum, denn es geht hier nicht darum, bestimmte Männerfiguren zu repräsentieren, sondern darum, die Ideologie der unterdrückten Männer aufrechtzuerhalten. Jonas Blume legt mit seiner Arbeit die Referenzlosigkeit des Memes offen. Der Künstler erzeugt ein Simulakrum des Simulakrums, das die ursprüngliche Inhaltsleere des ersten enttarnt.

 

[1]Siehe etwa https://de.statista.com/statistik/daten/studie/181482/umfrage/liste-der-top-25-milliardaere-weltweit/ Abgerufen am 11.02.25.

[2]Siehe https://www.get-in-it.de/magazin/arbeitswelt/it-arbeitsmarkt/wo-sind-die-frauen-in-der-it Abgerufen am 11.03.24.

[3]Respini, Eva: No Ghost Just a Shell in: dies., Art in the Age of Internet 1989to Today. Boston: Institute of Contemporary Art, 2018 S.13-41.

[4]Vgl. Connell, Raewyn: Der gemachte Mann - Konstruktion und Krise von Männlichkeiten 4.Auflage 2015 S.9f.

[5]Siehe hierzu: Baudrillard, Jean: Agonie des Realen. Berlin 1978.

[6]Baudrillard, Jean: Der symbolische Tausch und der Tod München 1991 S.113 f.

[7]Vgl. Ebd. S.116ff.

[8] Vgl. Amadeu Antonio Stiftung (2021): Frauenhassende Online-Subkulturen. Ideologien – Strategien – Handlungsempfehlungen. Berlin.

[9]Kracher, Veronika; Diekmann, Janine und Rahner, Judith: Sexismus, Antifeminismus und die Incel-Bewegung im Kontext rechtsextremer Radikalisierung – eine interdisziplinäre Annäherung in: Incel-Bewegung in: Rothmund, Tobias und Walther, Eva (Hrsg.) Psychologie der Rechtsradikalisierung –Theorien, Perspektiven, Prävention Stuttgart 2024 S. 103 - 112.